Unser modernes Strafrecht ist so konzipiert, dass Straftaten wirkungsvoll verfolgt und bestraft werden, gleichzeitig jedoch jeder einzelne Bürger vor ungerechtfertigter Strafverfolgung geschützt wird. Dies ist wichtig, denn das Strafrecht ist das einschneidendste Instrument, das ein Staat zur Verfügung hat. Es darf daher keine Unschuldigen treffen. Das Funktionieren unseres Strafrechts basiert insbesondere auch auf der Gewaltenteilung: Die Legislative, also das Parlament, sieht den generellen gesetzlichen Rahmen vor. Die Judikative bzw. die Richter wenden die Gesetze im konkreten Einzelfall an und gewährleisten faire und verhältnismässige strafrechtliche Sanktionen, die dem begangenen Delikt und den gesamten Umständen angemessen sind. Es darf nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden!
Gerade Letzteres geschieht hingegen mit der Pädophileninitiative. Sie sieht einen gesetzlichen Automatismus vor, welcher ohne Rücksicht auf den Einzelfall zu sehr einschneidenden strafrechtlichen Massnahmen führt. Damit durchbricht sie die Prinzipien der Gewaltenteilung und der Verhältnismässigkeit – die Richter werden ausgeschaltet. Wer pädophil veranlagt ist, wird sich immer von Kindern sexuell angezogen fühlen und stellt somit eine Gefahr dar. Die meisten Sexualdelikte an Kindern werden aber gar nicht von Pädophilen in diesem Sinne begangen. Die meisten Delikte geschehen innerhalb einer Familie – Täter sind Eltern, Geschwister oder andere Verwandte und Bekannte des Opfers. Diese Straftaten werden meist nicht aufgrund pädophiler Veranlagung begangen, sondern beispielsweise um Macht auszuüben. Weiter gibt es Liebesbeziehungen unter jungen Menschen, welche ebenfalls unter das Strafrecht fallen können, wenn beispielsweise ein 21-Jähriger mit einer 15-Jährigen eine einvernehmliche Beziehung führt. Ein lebenslängliches Berufsverbot wäre in diesen Fällen völlig wirkungslos, aber für die Betroffenen sehr einschneidend – eben mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Der zentrale Unterschied zwischen der Initiative und dem Gesetz ist also, dass die Initiative die Gewaltenteilung durchbricht und einen Automatismus vorsieht, welcher zu unverhältnismässigen Ergebnissen führt, währendem das Gesetz die Kompetenz für eine einzelfallgerechte Beurteilung beim Richter belässt. Das Gesetz bietet zudem einen weiteren Schutz: Es erfasst nicht nur Sexual-, sondern auch Gewaltdelikte und sieht zudem die Möglichkeit eines Kontakt- oder Rayonverbots vor. Es schützt somit auch vor Übergriffen im privaten Umfeld.
Schliesslich darf nicht in Vergessenheit geraten, dass das Strafrecht grundsätzlich dazu dient, auf begangene Delikte zu reagieren. Es kann jedoch nur beschränkt zukünftige Delikte verhindern. Eine 100%ige Garantie wird es nicht geben.
Angelika Murer Mikolasek, Gemeinderätin Dübendorf